Durch Steffi, die Mediophatin bin ich auf einen kleinen Spaß aufmerksam geworden, der sich Short Story Collab nennt, welcher ursprünglich von David aka Captain Obvious ins Leben gerufen wurde. Kurz und knapp geht es einfach darum, jeden Monat zu einem bestimmten Thema eine Kurzgeschichte zu verfassen. Und mit der Nummer 10 steige ich auch mal ein, um direkt mal das Thema, welches in diesem Monat HORROR lautet, mehr oder weniger zu verfehlen. Aber lesen könnt ihr das Ganze natürlich trotzdem:
Wulf rannte um sein Leben.Hinter sich hörte er die Rufe der Bauern, die mit Mistgabeln und Fackeln seine Verfolgung aufgenommen hatten. Seine Augen boten ihm einen Vorteil in der Finsternis, aber es mangelte an einem Ziel. In der Nähe befand sich kein Ort, an dem er sich verstecken konnte. Er rannte weiter, ständig den Geruch seines verbrannten Fells in der Nase. Die Verfolger würden den Geruch nutzen, um ihn aufzuspüren. Er musste handeln. Schnell. Er blieb zwischen den Bäumen stehen und lauschte. Ein Plätschern deutete auf ein Gewässer in der Nähe hin. Im Wasser könnte er den Geruch abwaschen. Er folgte dem Geräusch. Die Bauern kamen näher. Er sah zurück und erblickte die leuchtenden Fackeln zwischen den Bäumen. Er lief weiter zu einer Schlucht. In der Tiefe strömte ein Fluss durch die Landschaft. Es war nicht so tief, dass man den Sprung nicht überleben konnte, aber tief genug, um sich lieber Alternativen zu überlegen. Wulf blieb dazu keine Zeit. Das Feuer kam näher. Er überlegte nicht lange und sprang in die Tiefe.
Lautes Gemurmel hallte durch den Raum. Es stammte von den Gästen, die an einem runden Tisch saßen und sich ausschweifend über ihre zuletzt erlebten Abenteuer unterhielten. Das flackernde Licht von tropfenden Kerzen spiegelte sich in den braunen Augen von Leonard. Er schob seine langen Haare über die Schultern zurück und räusperte sich, um für Ruhe zu sorgen. Der gewünschte Effekt blieb aus. Er schlug einen Löffel an ein Weinglas, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Gäste redeten weiter. Ein gezielter Wurf, mit dem Glas, an die gegenüberliegende Wand, brachte ihm die gewünschte Aufmerksamkeit.
„Man, Leo, du hast deine Aggressivitätsausbrüche immer noch nicht ganz im Griff, was?“, sagte der behaarte Mann rechts neben ihm, der aussah, als hätte er in letzter Zeit keine Mahlzeit verpasst. Der Stuhl unter ihm bog sich Richtung Erdkern.
„Fresse, Bruno.“
Leonard blickte durch die Runde. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Alle, außer die von Kathrin, die geistesabwesend mit einem Wollknäuel spielte. Leo verdrehte die Augen, seufzte, setzte sich hin und erklärte, warum er den Rat der Gestaltenwandler einberufen hatte.
„Ich habe euch alle hier her bestellt, weil mir zu Ohren gekommen ist, dass es in letzter Zeit vermehrt Probleme bei der Essensbeschaffung gab. Die Menschen scheinen ihre Angst vor uns zu verlieren und sich zu organisieren, um die Rasse der Gestaltenwandler auszurotten. Als Ritzo, die Werrratte in eine Mäusefalle lief, hielt ich es noch für einen Zufall. Als Zeb, das Werzebra von einem Jäger erlegt wurde, begann ich skeptisch zu werden. Zuletzt konnte Wulf, der Werwolf nur knapp dem Tod entrinnen, indem er wagemutig von einer Klippe sprang …“
„Jaaaaoooouuuuuhhhhh, es war alles so furchtbar“, jaulte Wulf. „Ich rieche noch immer das verbrannte Haar von meinem Fell.“ Er begann zu weinen.
„Jetzt reiß dich mal zusammen, man“, brummte Bruno, der Werbär. „Guck dir an, was sie mit Gertrud angestellt haben.“
Alle sahen Gertrud an, eine groß gewachsene Frau, deren blondes Haar unter einem Verband versteckt war.
„Sie heult hier auch nicht rum.“
„Oh, das?“ Gertrud zeigte auf ihren Verband. „Das war ein Unfall. Der Torbogen zur Stadt ist einfach zu niedrig.“
„Du bist eine Wergiraffe. Was wolltest du überhaupt in der Stadt?“
„Ich mag die Blätter von den Bäumen im Park.“
„Oh ja, die Nüsse im Park sind auch ganz toll“, meldete sich Erik, das Wereichhörnchen zu Wort.
„Ich kann die Beeren von den Sträuchern empfehlen“, sagte Anne, die Weramsel und flatterte aufgeregt mit den Armen.
„Wenn wir dann wieder auf den Punkt kommen könnten“, knurrte Leo genervt. „Vor langer Zeit habe ich euch gewarnt, dass die Menschen uns gefährlich werden würden, aber ihr wolltet nicht hören. Ich verstehe das. Wir sind keine Monster. Wir versuchen nur, zu überleben, wie jeder andere auch. Aber jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir eine Entscheidung treffen müssen. Lassen wir uns von den Menschen in die Berge und Wüsten verdrängen, um dort einen langsamen Hungertot zu erleiden, oder schlagen wir zurück?“
„Was schlägst du vor, Leo?“ Der Stuhl drohte jeden Moment zusammenzubrechen.
„Wir verbünden uns. Und verjagen die Menschen aus der Stadt.“
Alle schwiegen und sahen Dinge an, die nicht existierten, aber interessant zu sein schienen.
„Wir sollten abstimmen.“ Leo stand auf. „Jeder, der dafür ist, die Menschen zu verjagen, hebt die Hand.“
Leo hob seine Hand. Alle anderen Anwesenden warteten, bis jemand sich Leo anschloss.
„Du weißt, ich bin gegen jegliche sinnlose Gewalt, Leo. Aber in diesem Fall sehe ich keinen anderen Ausweg.“ Bruno stand auf, was dem Stuhl unter ihm Erleichterung verschaffte. Der Werbär hob die Hand.
Nachdem jemand den Anfang gemacht hatte, folgten weitere Hände. Nach wenigen Momenten waren alle Hände am Tisch erhoben. Alle, außer die von Kathrin, die sich mittlerweile in dem Wollknäuel verheddert hatte, und versuchte sich zu befreien. Leo verdrehte die Augen und ritzte mit einem scharfen Fingernagel die Wolle auf. Kathrin warf die Wollreste in die Luft und ließ sie auf sich herunterregnen.
„Kathrin?“ Leo verlor langsam die Geduld.
„Hm? Ja, ja, was immer du sagst.“
„Also ist es entschieden. Beim nächsten Vollmond greifen wir an.“ Leo setzte sich zufrieden auf seinen Stuhl und verschränkte grinsend die Arme vor der Brust.
Mehrere Leute standen im Regen.
„Man, das ist vielleicht eine beschissene Nacht, um eine Stadt zu überfallen.“ Bruno wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. Es wurde sofort durch Neues ersetzt.
„Stell dich nicht so an“, sagte Leo, der die Regenwolken beobachtete.
„Macht dir der Regen gar nichts aus? Ich dachte immer, Katzen hassen Wasser.“
„Ich bin ein Löwe. Und ja, ich gebe zu, das Wetter ist nicht das beste, aber den Menschen wird es auch nicht gefallen.“
Leo drehte sich um und sah seine Mitstreiter an. Wulf wälzte sich im Matsch und jaulte fröhlich. Erik versuchte, mit den Zähnen eine Nuss zu knacken, die sich als besonders widerspenstig herausstellte. Gertrud versuchte ihren Verband davon abzuhalten, von ihrem Kopf zu schwimmen.
„Gleich ist es so weit“, sagte Leo. „Sobald die große Wolke vorbei gezogen ist, wird der volle Mond auf uns herunter scheinen und wir werden uns verwandeln.“ Er blickte durch die Runde und wurde das Gefühl nicht los, dass er eine bessere Armee haben könnte. Es hörte auf zu regnen. Er atmete tief durch. „Seid ihr bereit?“
Niemand sagte etwas. Man hätte eine Grille zirpen hören können, aber Gustav die Wergrille hatte sich noch nicht verwandelt. Leo verdrehte die Augen.
„Also los.“, seufzte er.
Die Wolke zog weiter und legte den Blick auf den Mond frei, der das Licht auf die durchnässten Gestalten reflektierte. Felle wuchsen, Hälse streckten sich, Krallen ersetzten Fingernägel, eine Grille zirpte.
Die Werarmee zog los. Die Stadt war nicht weit entfernt. Nach einigen Minuten drängten sich die Gestalten durch den Torbogen. Ein „Autsch“ hallte von Höhe des Torbogens herab.
„Wir hätten das Ganze vielleicht etwas besser durchplanen sollen, Leo.“
Die Gestaltwandler baumelten in einem Käfig über dem Marktplatz. Die Stadtbewohner bewarfen sie mit Tomaten.
„Es war eine Falle. Jemand muss sie gewarnt haben, dass wir kommen.“
„Die Tomaten sind echt gut.“
„Hast du schon einen Fluchtplan, Leo?“
„Ich arbeite daran. Wo ist Paul, das Werpferd?“
„Hie-ie-ier.“
„Siehst du die Pferde da vorne? Die vor die Kutsche gespannt sind?“
„Natürli-i-ich.“
„Kannst du sie rüber rufen. So, dass die Kutsche direkt unter unserem Käfig steht?“
„Si-i-icher.“
Paul wieherte. Die Pferde zogen die Kutsche über den Marktplatz, stießen Menschen zur Seite und parkten sie unter dem Käfig. Sven, der Werspecht flog über den Käfig und hackte mit seinem Schnabel das Seil durch. Der Käfig fiel auf die Ladefläche der Kutsche.
„Okay, weg hier.“
„Wohi-i-in?“
„Völlig egal. Sie sollen einfach losreiten.“
Paul wieherte in einer anderen Tonlage als zuvor und die Pferde setzten sich in Bewegung. Wachen sprangen auf ihre eigenen Pferde und nahmen die Verfolgung auf. Verwunderte Blicke breiteten sich auf ihren Gesichtern aus, als sie, nach einem Wiehern des Pferdes im Käfig auf der Kutsche, von den Pferden aus den Satteln geworfen wurden.
„Wir müssen den Käfig öffnen“, erklärte Leo, während die Kutsche über das Kopfsteinpflaster der Fußgängerzone hüpfte. „Günther kannst du das Schloss mit deinen Krallen aufschließen?“
„Ich kann es versuchen.“ Günther, das Wergürteltier zwängte sich zwischen den anderen Käfiginsassen hindurch und schob eine Kralle ins Schloss der Käfigtür.
Die Pferde blieben stehen, als sie ein Ufer erreichten.
„Warum bleiben wir stehen?“ Leo sah sich nach den Pferden um.
„Wir sind an den Docks, Leo.“
„Das sehe ich auch.“
„Autsch.“ Günther lutschte an seiner Pfote. „Ich habe mir eine Kralle eingerissen.“
„Du wirst es überleben. Ist die Tür offen?“ Leo stieß die Tür an. Sie schwang auf. „Raus hier“, befahl er.
Die Wertiere verließen nacheinander den Käfig und sahen sich einer Menschenmenge mit Fackeln gegenüber. Einer der Männer trat einen Schritt vor.
„Das war der wohl schlechteste Fluchtversuch, den diese Stadt jemals erlebt hat“, sagte er. „Der Typ, der letzte Woche im Gefängnis versucht hat, einen Tunnel nach Neuseeland zu graben, hatte größere Erfolgschancen.“ Der Mann gab der Menge ein Zeichen mit der Hand. Diese zogen ihre Waffen, Mistgabeln und einen Löffel. Der Mann sah die Person mit dem Löffel neben sich an. „Ich habe meine Mistgabel verlegt“, erklärte dieser.
„Warum jagt ihr uns?“ Leo stand vor der Wergruppe und sah die Menge mit seinen Löwenaugen an. „Wir haben euch nichts getan. Wir jagen nicht in der Stadt. Wir reißen nicht euer Vieh auf den Weiden. Wir können friedlich miteinander leben.“
„Die Giraffe hat unseren Stadtpark verwüstet. Die armen Kinder waren ganz verängstigt. Wir haben sie nur am Leben gelassen, weil sie sich bereit erklärte, mit uns zusammenzuarbeiten.“
Leo drehte sich zu der Giraffe um. „Du hast uns verraten?“
„Sie wollten mich zwingen, Fleisch zu essen“, heulte Gertrud. „Außerdem wisst ihr, dass ich Gewalt verabscheue. Immerzu seid ihr am Jagen. Dabei habe ich euch so tolle Salate angeboten. Ich will nur ein Leben in Frieden führen. Kathrin stimmt mir sicher zu. Nicht wahr, Kathrin?“
„Hm? Ja, ja, was immer du sagst.“ Kathrin beobachtete abwesend einen Fisch, der im Wasser unter der Hafenkante schwamm.
„Wir werden das später besprechen“, sagte Leo.
„Gute Idee“, sagte der Anführer der Menschenmenge. „Es wird langsam kalt.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun, für unser Problem gibt es eine einfache und eine schwere Lösung.“
„Man, wie abgedroschen“, brummte Bruno.
Der Mann ignorierte den Kommentar des Bären. „Verlasst das Land. Oder sterbt.“
„Ihr lasst uns keine Wahl.“ Der Löwe brüllte und stürmte nach vorne.
Ein klappriges Boot, das den Eindruck erweckte, als wäre es innerhalb weniger Minuten, von blinden Handwerkern, denen jeweils ein Arm fehlt, zusammengehämmert worden, schipperte langsam über das Meer.
„Du hättest bedenken sollen, dass wir alle Angst vor offenem Feuer haben, Leo.“ Bruno stand am Steuerrad und tat so, als wisse er, was er tut.
„Die paar Fackeln. Ihr Feiglinge.“ Leo betrachtete den Horizont, der durch die aufgehende Sonne in ein strahlendes Rot gefärbt wurde. In der Ferne sah er Insel. „nimm Kurs auf die Insel“, befahl er Bruno. „Vielleicht sind die Menschen dort freundlicher.“
Das Boot erreichte die Insel. Die Reisenden betraten den Strand. Das Boot fiel auseinander. Leo verdrehte die Augen, setzte sich in den Sand und sah Kathrin beim Spielen mit einer Kokosnuss zu.
Während er auf den nächsten Vollmond wartete, schmiedete Leo Pläne zum nächsten Angriff auf die Stadt.
Schrottgelaber